Made in Thüringen
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Foto: VWT
Ein Gastbeitrag von Hartmut Koch,
Präsident des Verbandes der Wirtschaft Thüringens
Zwei Seiten einer Medaille
D
ie eine Seite der Medaille: Es gibt
gute Nachrichten aus dem Indus-
trieland Thüringen: Der Arbeitsmarkt ist
stabil, die Arbeitslosenquote ist die
niedrigste in Mitteldeutschland. Chan-
cen, attraktive Arbeitsplätze zu finden,
sind so gut wie nie zuvor. Die Konjunk-
tur ist stabil, große Wachstumsimpulse
erwarten die Firmen in Thüringen aller-
dings nicht. Auftragslage und Erträge
sind 2016 bis jetzt gut bis befriedigend
bei gleichbleibender Beschäftigung. Ein
solider Außenhandel mit steigenden
Im- und Exporten reiht sich in die Reihe
der guten Nachrichten ein. Importiert
wird vorrangig aus China, Italien und
Großbritannien. Wie es nach dem Brexit
weitergeht, ist noch nicht abzusehen.
Geplante Investitionen stehen seitdem
auf dem Prüfstand. Bemerkenswert ist
auch, dass Ungarn an der Spitze der
Länder steht, in die Thüringer Firmen
exportieren. Aktuell baut das Land die
Automobilindustrie verstärkt auf und
profitiert mit Zulieferern aus dem
Freistaat.
Metall, Elektro, Optik und Automobil ge-
hören zu den beschäftigungsstärksten
Branchen in Thüringen. Die Produkte
der M+E-Industrie sind auf dem
Binnenmarkt ebenso begehrt wie im
Ausland. Aktuell arbeiten 103.000
Beschäftigte in 1.003 Betrieben und erwirtschafteten
2015 einen Umsatz von 20 Milliarden Euro bei einer
Exportquote von 37 Prozent. Im Vergleich zu anderen
Bundesländern hat sich in Thüringen innerhalb der
vergangenen 20 Jahre der Anteil der Industrie an der
Bruttowertschöpfung mit knapp 10 Prozent besonders
deutlich erhöht. Das liegt auch daran, dass der Anteil
der M+E-Industrie am verarbeitenden Gewerbe schon
immer sehr hoch war und den Freistaat als Industrie-
land maßgeblich prägte. Mehr als die Hälfte aller
Firmen und 61 Prozent der Beschäftigten sind dort an-
gesiedelt. Knapp 60 Prozent des Umsatzes erwirt-
schaftet die Branche anteilig im verarbeitenden Ge-
werbe.
Die andere Seite der Medaille ist: Es wird nur schwach
investiert. Unsichere ausländische Märkte animieren
derzeit nicht dazu. Investiert wird nur in Ersatz und
Erhalt vorhandener Produktionsmittel. Aktuell sind
21.400 Stellen unbesetzt, 30 Prozent der Firmen ha-
ben Schwierigkeiten, geeignete Fach-
kräfte zu finden.
Zwei Seiten einer Medaille, die das Bild
der Thüringer Wirtschaft prägen. Es
zeigt aber auch, dass es sich lohnt, in
Thüringen zu leben und zu arbeiten.
Klar war schon vor dem Flüchtlings-
strom, dass wir Zuwanderung in Thü-
ringen brauchen, um den Wohlstand zu
halten.
2015 kamen 30.000 Flüchtlinge zu uns.
Fakt ist auch, dass die Integration der
Flüchtlinge länger dauert und schwieri-
ger ist, als wir ursprünglich dachten. Das
Fachkräfteproblem werden wir mit ih-
nen nur partiell lösen. Als Inhaber eines
Bildungsträgers halte ich Integrations-
kurse vor und kenne die Mühen der
Ebene. Doch Erfahrungen sammelten
wir schon immer in der Praxis. Nicht zu
vergessen ist, dass hinter jedem Flücht-
lingsschicksal ein menschliches Drama
steht. Sie sind willkommen. Umfragen
und Gespräche mit Unternehmern be-
stätigen immer wieder die Aufgeschlos-
senheit. Gemischte Teams bereichern
die Mannschaft. Unverändert sind Spra-
che und Qualifikation die entscheiden-
den Kriterien, um im Arbeitsleben Fuß
zu fassen. Das ist allen klar, wird aber
länger dauern als gedacht.