Made in Thüringen
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Foto: TU Ilmenau-Cyprien Verseux
Das Habitat auf dem Mauna-Loa-Vulkan
gleicht einer wissenschaftlichen Sta-
tion, wie sie auf dem Mars stehen könn-
te, das einzige Fenster schaut auf end-
lose Weiten trockenen Vulkangesteins.
Zweimal in der Woche erkundeten die
Wissenschaftler für vier Stunden die
Umgebung. Wollten sie die Kuppel für
einen Außeneinsatz verlassen, mussten
sie einen Raumanzug tragen. Dabei ka-
men zwei Arten von Anzügen zum Ein-
satz: Ein modifizierter Gefahrenstoff-
anzug und ein für eine Marsmission
realistischerer Raumanzug, der bis zu
30 Kilo wog und die Bewegungsfreiheit
stark einschränkte. Bereits bevor es zum
Außeneinsatz losging, mussten sich die
Crewmitglieder einer mühsamen, min-
destens eine halbe Stunde langen Pro-
zedur unterziehen: Die Anzüge mussten
für den Außeneinsatz vorbereitet und
mit frischen Akkus und Trinkwasser ver-
sorgt werden, dann setzten die Wissen-
schaftler Headsets auf und überprüften
ihre Funkgeräte, bevor sie endlich in die
Anzüge stiegen, Schuhe und Handschu-
he anzogen und den Helm aufsetzten.
Obwohl sie unter freiem Himmel waren,
spürten sie nicht die Sonne oder den
Wind auf der Haut. Jeder Stein, den sie
anfassten, fühlte sich genau gleich an:
wie die Innenseite ihres Handschuhs.
Nach langen Außeneinsätzen war Chris-
tiane Heinicke hungrig, durstig und ver-
schwitzt, trotzdem liebte sie die EVAs:
„Die schönste Erinnerung an das hinter
mir liegende Jahr ist das Geschenk zu
meinem 30. Geburtstag: die erste Erkun-
dung einer Lavahöhle und die Geburts-
tagsfeier im Habitat mit Sushi.“
Da alle elektrischen Geräte in der
HI-SEAS-Station solarbetrieben waren,
richtete sich der Tagesablauf der Crew-
mitglieder stark nach der Sonnenein-
strahlung: „Jeden Tag trafen wir uns um
halb sieben zum Abendessen, für das
wir aber meist schon am frühen
Nachmittag gekocht hatten, lange vor
Sonnenuntergang. Mittags gab es dann
häufig Reste vom Vortag.“ Ernährt hat
sich die Crew ausschließlich von halt-
baren Lebensmitteln, vor allem gefrier-
getrocknetem Gemüse und Fleisch,
Nudeln und Reis: „Obwohl Gefrierge-
trocknetes nicht schlecht schmeckt,
freue ich mich riesig auf frisches Obst
und Gemüse, insbesondere Gurken und
Tomaten, die wir hier praktisch nicht
hatten. Unsere sun dried tomatoes sind
ungenießbar und unsere selbst ange-
bauten Stauden haben in dem ganzen
Jahr vielleicht zwanzig kleine Tomät-
chen abgegeben – für sechs Personen.“
Gegossen wurde das angebaute Gemü-
se zum Teil mit selbst gewonnenem
Wasser. Eines der wissenschaftlichen
Experimente von Christiane Heinicke,
die an der TU Ilmenau den Master in
Geophysik gemacht hat, war es, Wasser
aus dem Lavaboden des Mauna-Loa-
Vulkans zu gewinnen, der einen ähnlich
niedrigen Wassergehalt wie der Mars-
boden hat und dem roten Planeten geo-
chemisch insgesamt sehr ähnlich ist.
Das Projekt sollte zeigen, dass dies
überhaupt möglich ist: „Über das ge-
samte Jahr habe ich grob geschätzt
100 Liter Wasser gewonnen – aus ei-
nem einzigen Quadratmeter. Auf dem
Mars könnte man natürlich eine größe-
re Anlage bauen. Für Marsmissionen
wäre das eine relativ einfache
Möglichkeit, an frisches Wasser zu kom-
men.“ Die Daten aller wissenschaftli-
chen Experimente wurden Tag für Tag
an die University of Hawaii weitergelei-
tet, wo sie von Wissenschaftlern analy-
siert werden. Die Auswertung, aus der
Berichte für die NASA gefertigt werden,
hat bereits begonnen, in einem Jahr
werden die ersten wissenschaftlichen
Ergebnisse veröffentlicht. Getrunken
haben Christiane Heinicke und ihre
Kollegen das destillierte Wasser übri-
gens nicht: „Es schmeckte furchtbar.“
In ihrer Freizeit hat Christiane Heinicke
Bücher gelesen und zu Beginn der Mis-
sion Salsa getanzt, später fing sie an,
Französisch und Mundharmonika zu ler-
nen. Um trotz des eingeschränkten
Raums im Habitat fit zu bleiben, haben
alle Crewmitglieder Sport getrieben:
„Manchen reichten fünf Minuten auf
dem Fahrrad, andere wurden unruhig,
wenn sie nicht täglich zwei Stunden für
Sport zur Verfügung hatten. Ich war ir-
gendwo in der Mitte und habe etwa ei-
ne Stunde Sport pro Tag gemacht. Oder
ich bin mit meinem Lieblingscrewmit-
glied Carmel stundenlang durch eine
unserer Lavaröhren gerobbt. Bis auf die
käseweiße Haut habe ich es so ge-
schafft, heute fitter zu sein als am
Anfang der Mission. Der Hang des
Mauna-Loa-Vulkans, auf dem sich das
Habitat befindet, ermöglicht ganz ne-
benbei Höhentraining: Er liegt auf einer
Höhe von 2500 Metern. Beim Treppen-
steigen vom Erdgeschoss zu den Schlaf-
quartieren komme ich jetzt jedenfalls
nicht mehr aus der Puste.“
Christiane Heinicke ist bereits dabei, be-
rufliche Weichen für die Zukunft zu stel-
len. Mit der europäischen Weltraum-
agentur ESA und der Freien Universität
Amsterdam arbeitet sie an einem For-
schungsantrag. Nachdem sie an der TU
Ilmenau in Strömungsmechanik promo-
viert hatte, lässt sie nun die Raumfahrt
nicht mehr los. Bei einem Casting von
HE Space, einem deutschen Personal-
dienstleister, der die ESA mit Luft- und
Raumfahrtspezialisten versorgt, hat sie
sich beworben: „Die Astronautin“ sucht
die erste deutsche Frau im Weltall. Zum
Mars würde sie fliegen wollen, stellt
aber drei Bedingungen: „Wenn die Tech-
nik ausgereift ist und die richtigen Men-
schen dabei sind. Und es einen Rückflug
zur Erde gibt.“ (em/tl)
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Christiane Heinicke im Raumanzug
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ohne Helm
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